Ein Nürnberger Rechenpfennig von der Wensburg im Lierstal

Die historische Entwicklung der Burganlage

Die Ruine der Wensburg, auch als „Burg Wensberg“ bezeichnet, liegt im Lierstal etwa einen Kilometer südlich der Ortschaft Obliers, im nördlichen Ahrbergland. Liersbach und Wenzbach umfließen die an den höhergelegenen „Hünnerberg“ angrenzende Bergkuppe. Der hierdurch abgegrenzte Bergsporn, ein Massiv aus Ton- und Siltstein sowie Sandstein, trägt die Fundamente und Mauerreste der heute sehr versteckt liegenden Spornburg

Burg und Herrschaft Wensberg

Eine erste urkundliche Erwähnung findet die Wensburg als Ritter Dietrich von Gymnich 1401 das „Haus zu Wentzbergh“ dem Erzstift Köln zu Lehen aufträgt und diesem damit das Öffnungsrecht zubilligte. Die Gründung der Burg muss jedoch ausweislich der zahlreichen vorhandenen Architekturmerkmale wie z.B. die gotischen Tordurchfahrten in der zweiten Hälfte des 13. oder zu Beginn des 14. Jahrhunderts stattgefunden haben. Womit die Burg vermutlich schon 100 Jahre vor ihrer ersten urkundlichen Erwähnung bestanden hat.

Ein Nürnberger Rechenpfennig von der Wensburg im Lierstal
Der heute noch erhaltene Haupteingang zur Burganlage im südöstlichen Bereich des Berggrats. Das Werk hat einen gemeinfreien Status. Quelle: Ramessos

Es folgte sodann eine fortwährende Zeit verschiedener Besitzwechsel. So fiel die Wensburg durch die Eheschließung der Katharina von Gymnich an Johann von Helfenstein, der 1484 eine schriftliche Bestätigung über den Empfang des Lehensbriefes ausstellte. Hierauf brachten die Herren von Orsbeck die Burg durch heute nicht mehr nachvollziehbare Pfandschaft oder Kauf in Ihren Besitz. Während des Dreißigjährigen Krieges wird die Burg bereits 1633 durch spanische Truppen überfallen, wurde jedoch weiter bewohnt.

1760 gelangte die Wensburg als Erbschaft an Friedrich von Lützerath und fiel darauf nach mehrfachem Besitzerwechsel 1831 an den Weinhändler und Eisenfabrikanten Carl Theoderich Risch aus Reifferscheid. Dieser lies die Anlage 1832 weiträumig zur Gewinnung von Baumaterial abbrechen.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird die Burganlage zumindest teilweise durch die Sicherung des Wohnturms vor dem endgültigen Verfall gerettet. So ließ die Rittergutsbesitzerin Louise Scheib den Wohnturm ausbauen, weitere Mauerabschnitte konnten zudem gesichert werden.

Baubeschreibung und Bauentwicklung

Seit ihrer Erbauung gliedert sich die Spornanlage in eine Vor- und Hauptburg. Im Zentrum des mittels Wehrmauer umfriedeten Areals liegt auf einer erhöhten Felsposition die mit rechteckigem Grundriss ausgeführte Hauptburg. Ein besonderes Merkmal bildet dabei eine abgerundete Mauerecke an der Nordseite. Der rechteckige Hauptturm, später als Wohnturm bezeichnet, befindet sich vor der nordöstlichen Burgmauer und ist etwa 9,5m breit sowie 10,7m lang. Heute ist er noch vollständig erhalten.

Abb 1B Wensburg1 web Ein Nürnberger Rechenpfennig von der Wensburg im Lierstal
Der zu Beginn des 20. Jahrhunderts sanierte Wohnturm der Wensburg im Jahre 2009. Das Werk hat einen gemeinfreien Status, Quelle: Ramessos
Abb 1 Wensburg Schummerung web Ein Nürnberger Rechenpfennig von der Wensburg im Lierstal
Geländerelief (1m Schummerung) der Wensburg sowie näheren Umgebung. Deutlich werden die Fundamente der Spornburg, der nordwestlich anschließende Halsgraben sowie die umlaufenden Hohlwege erkennbar. ©GeoBasis-DE / LVermGeoRP (2024), dl-de/by-2-0, http://www.lvermgeo.rlp.de.

Ein kaum mehr erhaltenes ehemals spitzbogiges Tor diente als Zugang zur Hauptburg. Sämtliche Wirtschaftsgebäude lagen vermutlich innerhalb des Bereichs der Vorburg und waren entlang der Burgmauer gruppiert. An der Nord- und Südseite findet sich jeweils eine spitzbogige Toranlage. Auf der Nordwestseite der Burganlage liegt zudem der Haupteingang, welcher durch einen etwa 12m breiten Halsgraben gesichert wurde. Das Geländerelief der Wensburg lässt im südlichen und westlichen sowie nördlichen Hangabschnitt mehrere Hohlwege als ehemalige Zuwegungen erkennen.

Aufgrund fehlender weiterer archäologischer Untersuchungen muss die genaue Erbauungszeit der Burg zunächst unklar bleiben. Bereits Bornheim gen. Schilling datierte 1964 die Erbauung der Wensburg als strategische Anlage im Zusammenhang mit der Ahrbefestigung Kurkölns in das Ende des 14. Jahrhunderts. Dieser These schließt sich auch Michael Losse an, der hierzu ergänzend die sehr durchdachte Anlage des Frontturm und des Wohnbaus innerhalb einer Achse benennt. Er führt hierzu weiter aus, dass durch die entsprechende Anlage dieser Gebäude in einer Linie ein besserer Schutz vor Wurfgeschossen erreicht würde. Dementsprechend sei in der Errichtung der Wensburg als eng umgrenzte Frontturmburg eine Reaktion auf die Einführung weitreichender Wurfmaschinen zu sehen, womit die Datierung der Anlage bereits in die Zeit zum Ende des 13. bis Anfang des 14. Jahrhunderts zu vermuten wäre. Einzelne Bauformen wie die spitzbogigen Tore lassen eine Erbauung der Anlage bereits während der zweiten Hälfte des 13. Jahrhundert möglich erscheinen.

Abb 2 Ausschnitt Roidkin Renier Wensburg Wensberg Ortsansicht Zeichnung von Renier Roidkin 2e825039 web Ein Nürnberger Rechenpfennig von der Wensburg im Lierstal
Die Zeichnung des Künstlers Renier Roidkin aus 1720-1730 gehört zu den ältesten Ansichten der Wensburg. Frontturm und Wohnbau sowie umliegende Gebäude werden deutlich erkennbar. Quelle: Skizzenbücher von Renier Roidkin (1720-1730), LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland

Ein Nürnberger Rechenpfennig aus dem Burgbereich

Wenngleich durch das Fehlen archäologischer Funde sowie systematischer Untersuchungen auf der Wensburg Rückschlüsse zur genauen Datierung ausbleiben müssen, geben einzelne Zufallsfunde dennoch einen Einblick in das Leben der Burgbesitzer während des Mittelalters und der Neuzeit. In diesem Zusammenhang ist ein sogenannter Nürnberger Rechenpfennig zu sehen, welcher aus dem Areal der Burg stammt. Nachdem das Fundstück zuletzt 2017 seitens der Direktion Landesarchäologie, Außenstelle Koblenz wissenschaftlich bearbeitet wurde, befindet es sich heute in Privatbesitz. Der IAGA wurde es zur erstmaligen Veröffentlichung im vorliegenden Aufsatz zur Verfügung gestellt.

Der Rechenpfennig besteht aus einer Kupferlegierung und besitzt einen Durchmesser von bis zu 27,3 mm sowie wiegt 3,9 g. Am oberen Rand findet sich eine Durchlochung von zwei Millimetern. Die Vorderseite besitzt die umlaufende Inschrift: HENRICVS IIII GALLIA ET NAVARA REX [Heinrich IV. König von Frankreich und Navarra]. Das Prägebild zeigt Heinrich IV. von Frankreich (1589-1610) in Rüstung auf einem geschmückten Pferd mit erhobenem Schwert nach rechts reitend. Darunter sind mehrere Stangenwaffen, ein Helm und ein Schild als Trophäe erkennbar. Die Außenseite der Prägung ist mit einer umlaufenden Strichverzierung aus gleich großen Linienelementen versehen.

Auf der Rückseite findet sich die umlaufende Strichverzierung erneut. Die Inschrift lautet folgend: OMNIS VICTORIA A DOMINO [jeder Sieg von Gott]. Weiterhin zeigt das Prägebild die gegeneinander gestellten Wappen von Frankreich und Navarra. Zusätzlich werden ein gekröntes Schwert sowie zwei Lorbeerzweige sichtbar. Darüber findet sich ein (durchlochter) Kranz zwischen Wolken, aus dem ein Palm- und Lorbeerzweig herabhängen. Rechts werden zudem drei Strahlen erkennbar.

Vorder- und Rückseite des durchlochten Nürnberger Rechenpfennigs von der Wensburg. Foto: IAGA

Am nächsten verwand mit diesem Prägetyp sind die bereits 1915 von F. Feuardent beschriebenen Rechenpfennige Nr. 11851 u. 11960 (Feuardent 1915). Wobei das vorliegende Stück ausweislich des auf der Rückseite veränderten „DOMINO“ hiervon eine Variation darstellt. Ergänzend hierzu findet sich das Münzbild der Vorder- und Rückseite auf weiteren Nürnberger Rechenpfennigen wieder, welche dem dortigen Rechenpfennigmacher Hans Krauwinckel zugeschrieben werden und eine Datierung im Zeitraum 1589-1610 aufweisen (Stalzer 1989), was auch die jüngere Forschung (Groenendijk / Levinson 2015) bestätigt. Womit davon auszugehen ist, dass das vorliegende Stück in der unmittelbaren Zeit nach seiner Herstellung um 1600 auf die Wensburg gekommen ist.

„Abrechnung“ auf der Wensburg

Rechentische gelten als Erfindung der Antike und wurden am dem 13. Jahrhundert auch nördlich der Alpen verwendet. Grundsätzlich nutzte man eine Vielzahl unterschiedlicher Modelle wie Rechentafeln, Rechenbretter oder auch Rechenbänke und Tücher mit jeweils aufgebrachten Linien, die normierte Werte für Einer, Zehner oder Hunderter besaßen. Rechentische entwickelten sich schnelle zu einer weit verbreiteten und mobilen Rechenmöglichkeit und waren damit auf jeder Burg oder in den Handelszentren der Städte unerlässlich. Die geprägten Rechenhilfsmittel wie Rechenpfennige gewannen jedoch erst im zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts mit der Veröffentlichung des Lehrbuchs von Adam Ries (1492‒1559), „Rechnung auff der linihen vnd federn“ (Erfurt 1522) an Bedeutung. In der Folge wurde das Lehrbuch bis ins 17. Jahrhunderts mindestens 120-mal neu aufgelegt. Bei der hier beschriebenen Rechnungslegung, welche auf dem Rechenbrett, Rechentisch oder Rechentuch ausgeführt wurde, benötigte man Rechenpfennige, die „auf den Linien“ eingesetzt wurden, weshalb auch beim vorliegenden Stück eine Durchlochung zur Auffädelung auf einer Linie angebracht wurde. Bei der Herstellung der Rechenpfennige setzten sich schnell bestimmte Handwerkerfamilien wie die Krauwinckel, Lauffer und Schultes durch. So gehörten dem Nürnberger Handwerksstand bereits seit dem 15. Jahrhundert Meister an, die sich auf die Erzeugung von Rechenpfennigen spezialisierten. In der Folge entstand in Nürnberg im 16. bis 18. Jahrhundert ein Zentrum der Produktion und des Vertriebs von Rechenpfennigen. Die Erzeugnisse gelangten über Handwerkskontakte zwischen Adligen und Handwerkerfamilien auch ins Rheinland und damit auf die Wensburg. Offenbleiben muss lediglich die Frage, welche Rechnungslegung für welche Waren mit dem vorliegenden Stück auf der Wensburg ausgeführt wurde.

Das vorliegende Stück vermittelte mit der Abbildung des siegreichen Heinrich IV. von Frankreich eine politische Aussage. Dementsprechend deuten die auf der Vorderseite am Boden liegenden Waffen als Kriegsbeute bereits auf einen militärischen Sieg als wichtiges Zeitereignis hin. Deutlich wird dies weiterhin anhand der rückseitigen Inschrift: OMNIS VICTORIA A DOMINO [jeder Sieg von Gott], der möglicherweise als Hinweis auf einen militärischen Sieg Heinrichs IV. zu werten ist. Konkret könnte hier auf die Abwehr der spanischen Invasionsarmee 1594 gleich zu Beginn seiner Amtszeit als König von Frankreich und Navarra Bezug genommen worden sein. In diesem Zusammenhang ist auch die Abbildung der Wappen Heinrichs IV. als König von Frankreich (links) und Navarra (rechts) auf der Rückseite des vorliegenden Rechenpfennigs zu sehen.

Abb 4 Wappen Henry4 France web Ein Nürnberger Rechenpfennig von der Wensburg im Lierstal
Wappen Heinrichs IV. als König von Frankreich (links) und Navarra (rechts). Das Werk hat einen gemeinfreien Status. Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/a2/Wappen-Henry4-France.jpg (22.11.2024).

Die Wensburg im 17. Jahrhundert

Der Rechenpfennig mit Abbildung Heinrich IV. von Frankreich ist vermutlich gleich nach seiner Herstellung im Zeitraum 1600-1610 folgend über Handels- und Zahlungsverkehr auf die Wensburg gelangt. Zunächst als Teil eines Rechenbretts oder Rechentischs verwendet, wurde das Stück vermutlich später verloren. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Herren von Orsbeck die Burg bereits durch Pfandschaft oder Kauf in Besitz genommen. Engelbrecht von Orsbeck, der als Amtmann der Grafschaft Neuenahr die Burg von seinem Vater Wilhelm von Orsbeck übernommen hatte, stirbt jedoch 1615. Einige Jahre darauf stirbt 1623 auch Eremunt von Orsbeck, Herr zu Wensberg. Die Herrschaft Wensberg gelangte sodann 1635 durch die Heirat von Anna von Braunsberg als Tochter von Dietrich und Maria von Orsbeck in den Besitz von Caspar von Bourscheidt, dessen Sohn Friedrich daraufhin die Burg übernahm. In diesem Zeitraum fällt außerdem der Überfall spanischer Truppen 1633, welche im Zusammenhang mit dem Dreißigjährigen Krieg zu sehen ist. Der Nürnberger Rechenpfenning könnte im Zuge unsicherer Zeit und wechselnden Besitz- und Einflussverhältnissen auf der Wensburg verloren worden sein, was sich jedoch aufgrund fehlender weiterer Funde oder einem Befundzusammenhang nicht endgültig klären lässt. Der Rechenpfennig von der Wensburg ist in jedem Fall als deutlicher Hinweis für die weite Verbreitung der Erzeugnisse des Nürnberger Rechenpfennigmachers Krauwinckel im Rheinland und dern angrenzenden Gebieten während des 17. Jahrhunderts zu sehen.

Literatur:

Losse 2005
M. Losse, „[…] von frühest-mittelalterlicher, vielleicht fränkischer Gründung“? Anmerkungen zur Geschichte der Wensburg im Lierstal. Heimatjahrbuch des Kreises Ahrweiler 2005, 136-143.

Feuardent 1915
F.-B. Feuardent, Jetons et méreaux depuis Louis IX jusqu’à la fin du Consulat de Bonaparte. Tome 3. Rois et reines de France, Flandres (Paris 1915), Nr. 11851 u. 11960.

Kunstdenkmäler Kreis Ahrweiler 1938
J. Gerhardt, H. Neu, E. Renard, A. Verbeek, Die Kunstdenkmäler des Kreises Ahrweiler. P. Clemen (Hrsg.), Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz (Düsseldorf 1938) 499-501.

Görtz 1967
I. Görtz, Burg und Herrschaft Wensberg. Heimatjahrbuch des Kreises Ahrweiler 1967, 40-44.

Stalzer 1989
F. Stalzer, Rechenpfennige. Bd. 1 Nürnberg. Signierte und zuweisbare Gepräge. 1. Lieferung: Die Familien Schultes, Koch und Krauwinckel. Kataloge der Staatlichen Münzsammlung München (München 1989) 128f, Nr. 225-233.

Bode 1997
G. N. Bode, „… verschwunden ist der Bogen“. Betrachtungen zur Wensburg im Lierstal. In: Burgen und Schlösser 1997/II, S. 106-110

Losse 2003
M. Losse, Hohe Eifel und Ahrtal. 57 Burgen und Schlösser (Stuttgart 2003) 147-149.

Groenendijk / Levinson 2015
F. Groenendijk, R. A. Levinson, Nürnberger Rechenpfennige. Bd. 2 Die Familie Laufer (München 2015) 238, Nr. 886 u. 888.

Kommentar: Der vorgestellte Rechenpfennig wurde als Fundmeldung unter der Inventarnummer 2017_0679 bei der Direktion Landesarchäologie, Außenstelle Koblenz erfasst.